Helfen – ohne erhobenen Zeigefinger

 

Vor 15 Jahren wurde die Selbsthilfe gegründet. Die Wellen im Viertel haben sich mittlerweile geglättet.

2005-08-10-ksta-helfen_-_oh.jpgEin ganz normaler Morgen in Kalk: Das Café in der Taunusstraße ist gut besucht. Die Gäste trinken ihren Kaffee, diskutieren, frühstücken oder lesen Zeitung. Ein Besucher macht sich bemerkbar: „Ich würde gerne Spritzen tauschen.“ Spritzentausch? Kein Problem, denn die Rede ist von der Geschäftsstelle des „Junkie Bund Köln“ in Kalk. Nuri Carkci ist gleich zur Stelle. In einem kleinen Nebenraum hilft er dem Gast beim Tausch der für den Heroingebrauch benutzten Spritzen gegen sterile neue.

Carkci ist 34 Jahre alt und ehemaliger Drogenabhängiger. Seit drei Jahren ist er „substituiert“, er bekommt also Ersatzmedikamente statt Drogen. Jeden Tag schaut er beim Junkie Bund vorbei. „Am liebsten würde ich hier einziehen“, sagt er, so angenehm ist die Atmosphäre in der so genannten „Kontaktstelle“. „Ich helfe hier ehrenamtlich“, erzählt er. Bald wird er fest angestellt als Ein-Euro-Jobber. „Genau so ein Laden hat der Stadt gefehlt“, sagt er. Carkci kennt die Kölner Drogen Szene. Mitte der Neunziger kam er mit dem Verein in Kontakt. Hier sei er „stets willkommen“.

person_bernd_ksta.jpg1990 gründete Bernd Lemke mit sechs anderen befreundeten Drogengebrauchern den Junkie Bund Köln. Lemke ist noch immer der Geschäftsführer. Der gebürtige Bayer war selbst abhängig. Da er im damaligen Drogenhilfssystem nicht die passende Betreuung fand, wollte er einen „anderen Weg ausprobieren“: Der Junkie-Bund setzt auf Selbsthilfe, das Konzept funktioniert. „Wir wollen helfen, aber ohne erhobenen Zeigefinger“, erklärt er. Ziel der Organisation ist die Legalisierung jeglicher Art von Drogen. „Das darf aber keinesfalls mit deren Verherrlichung verwechselt werden“, darauf besteht er. Vielmehr sollen Abhängige „die Zeit auf Drogen unbeschadet überstehen. Denn der Beschaffungsstress macht krank“, sagt Lemke. Außerdem enthalte das Heroin auf dem Schwarzmarkt bis zu 92 Prozent giftige Substanzen. Daher fordert er die Abgabe von Heroin als verschreibungsfähiges Medikament und den Ausbau der Substitutionsmöglichkeiten. Lemke hofft auf eine Ausweitung der Unterstützung von Abhängigen, Ehemaligen und Substituierten.

Der Verein tut dafür bereits so viel er kann. Sieben Angestellte, davon zwei Sozialarbeiter und zwei ehemalige Drogenabhängige, kümmern sich um die Besucher. Im November 2003 zog der Junkie-Bund in die Taunusstraße, um möglichst „nah an der Szene“ zu sein. Zwei Etagen und 200 Quadratmeter stehen für die Betreuung zur Verfügung, etwa 40 Besucher kommen pro Tag vorbei. „Hier können unsere Gäste entspannen, quatschen, essen und sich informieren“, sagt Lemke. Die Geschäftsstelle ist ein „niedrigschwelliger Kontaktladen“. „Das bedeutet, dass wir die Leute, die zu uns kommen, akzeptieren und respektieren wie sie sind“, betont Lemke.

Im Erdgeschoss befindet sich das Café. Angeboten werden Kaffee und Getränke, aber auch ein günstiges Frühstück und Mittagessen. „Wir möchten möglichst frische Gerichte anbieten, die HIV- und Hepatitis C-Infizierten gut tun“, erzählt Lemke. 70 bis 90 Prozent der Gebraucher von intravenösen Drogen sind mit Hepatitis C infiziert. Daher können auch die Spritzen eingetauscht werden. Sterile Nadeln und Desinfektionsmittel stehen im Spritzenraum zur Verfügung.

taunusstr_buero_ksta.jpgIm Obergeschoss der Geschäftsstelle sind die Verwaltung und der Gesundheitsraum angesiedelt. Einmal in der Woche schaut der Mobile Medizinische Dienst der Stadt Köln vorbei und verarztet Wunden und Wehwehchen. Sogar die bei einer Substitutionstherapie obligatorische psychosoziale Betreuung (PSB) kann beim Junkie-Bund besucht werden. „Leider sind unsere Kapazitäten für die PSB erschöpft“, sagt Lemke. Betreuung und Hilfe bei Bewerbungen und Amtsgeschäften gibt es dagegen noch immer. Ein Computer, Faxgerät und Drucker können zu diesem Zweck ebenfalls kostenlos genutzt werden. Finanziert wird der Junkie Bund durch die Kommune, das Land Nordrhein-Westfalen und private Spenden.

Die Integration ins Viertel war anfangs schwierig. Eine Bürgerinitiative und die rechtsgerichtete Organisation „Pro Köln“ wetterten gegen den Kontaktladen. Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet. Lemke freut sich: „Einige Nachbarn kommen nun zum Kaffeetrinken zu uns.“ Mitarbeiter Nuri Carkci wundert das nicht. „Die Stimmung ist einfach angenehm und locker.“ Strenge Regeln gibt es dennoch: „Hier wird weder konsumiert noch gedealt“, sagt Lemke. Sonst gibt es einen Verweis und das will kaum ein Besucher bei dieser familiären Atmosphäre riskieren.

(KStA)

Kölner Stadt-Anzeiger

Kölner Stadt-Anzeiger – die führende Tageszeitung im Großraum Köln.

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Eine Antwort

  1. pernak,michael herne sagt:

    hallo leute.ich bin selber seit16jahren heroin am drücken.so eine anlaufstelle sollte eigenlich jede grössere stadt haben.lg micha

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