Wir lassen uns nicht mehr alleine

 

„Wir lassen uns nicht mehr alleine“

WOHNUNGSNOT – Ein obdachloses Paar lebt im Wald, weil es nicht genügend Notunterkünfte gibt

VON RAPHAEL MARKERT

Ein Fußabstreifer liegt auf dem vom Regen aufgeweichten Waldboden zwischen den Bäumen. Matsch rieselt auf die Erde, als Andreas Hein vor seiner Unterkunft die Schuhe abklopft. Eine olivgrüne Plane schimmert zwischen dem kahlen Geäst hervor: ein Zeltbau mitten in einem Waldstück bei Höhenberg. Zwischen Mäusen und Mülltüten leben Andreas und seine Partnerin hier seit Monaten – fehlenden Sanitäranlagen und eisigen Temperaturen zum Trotz. Denn die Stadt findet für das obdachlose Pärchen keine gemeinsame Wohnung.

Es ist kalt an diesem Dienstagabend. Sehr kalt. Minus drei Grad. Andreas Hein gähnt, eine dünne Atemwolke schiebt sich aus seinem Mund und verdampft in der eisigen Luft. In der vergangenen Nacht haben die beiden besonders schlecht geschlafen. Nicht wegen der Feldmäuse, die die beiden jede Nacht durch das angenagte Loch in der Zeltwand besuchen. An die sind sie inzwischen gewöhnt. Die Gasflasche mit Heizaufsatz, die im Zelt wenigstens etwas Wärme spendet, war plötzlich leer. Im beengten Zelt, wo sich die beiden zwischen Aschenbecher, Klopapierrollen, Milchpackungen und leeren Fastfoodtüten eine abgenutzte Matratze und eine kärgliche Decke teilen, war es dann kaum wärmer als außerhalb der dünnen Zeltwände. „Jetzt im Winter ist es schlimm. Ich kann die Kälte gar nicht in Worte fassen“, sagt Kümmel und zieht hustend den Schal um ihren Hals noch etwas enger. Seitdem das Paar im Wald lebt, sind die beiden dauererkältet, haben ständig Kopfschmerzen, wirken ausgezehrt – mehr als zehn Kilo hat Hein bereits abgenommen. Und auch zwischen den beiden hat die zum Dauerzustand gewordene Situation Spuren hinterlassen: Wegen der Enge im Zelt gerät das Paar häufig aneinander. „In der letzten Zeit immer öfter“, sagt Sandra Kümmel.

Aber ohne einander können die beiden nicht. Vor zwei Jahren lernten sie sich kennen – damals waren sie schon obdachlos. Erst ein paar Wochen war es her, dass der Ehemann von Sandra Kümmel an einer plötzlichen Hirnhautentzündung verstorben war. Sie musste aus der gemeinsamen Wohnung, weil sie nicht im Mietvertrag stand – und sich nach dem Tod in der Wohnung ohnehin nicht mehr wohlfuhlte.

Tagelang irrte die 43-Jährige, die eine Ausbildung zur Friseuse abgebrochen hat, orientierungslos durch Köln, traf dann auf den ein Jahr jüngeren Hein. Auch er war einige Wochen zuvor aus seiner Wohnung geflogen – Streitigkeiten mit dem Sohn seiner Ex-Frau. Die gemeinsame Verzweiflung schweißte das obdachlose Paar zusammen. „Uns hat es direkt voll erwischt, jetzt lassen wir uns nicht mehr alleine“, sagt Hein. Deshalb wollen die beiden auch die bisherigen Angebote der Stadt Köln nicht annehmen. Fast jede Woche spricht das Paar vor dem Kölner Wohnungsamt vor – dort hören sie immer dasselbe: Es gäbe zwar freie Notunterkünfte. Aber immer nur für eine Nacht – und vor allem ohne den geliebten Partner, denn das einzige Wohnheim für Paare ist voll. Andreas müsste in ein Männerwohnheim, Sandra in eine Unterkunft für Frauen. Die Hoffnung auf eine freie Sozialwohnung hat das Paar fast verloren, und auch bei Freunden können die beiden nicht unterkommen. In seiner Not entschied sich das Paar für ein Leben unter freiem Himmel – besser das als eine Trennung, meinen Hein und Kümmel.

Vor zwei Jahren schlugen sie ihre Zelte erstmals in einem Wald bei Merheim auf. Irgendwann kam die Polizei und schickte sie weg, in diesem Sommer zogen sie um in das Waldstück bei Höhenberg. Versteckt hinter Bäumen und Gestrüpp – und die olivgrüne Plane, die Andreas Hein vor einigen Wochen über das Zelt gespannt hat, lässt die Behausung der beiden fast unsichtbar werden. Und doch haben Polizei und Ordnungsamt sie auch hier bereits gefunden -aber ließen sie diesmal bleiben. „Warum, wissen wir selbst nicht“, sagt Hein. Kurz zucken seine Lippen, er runzelt die Stirn. Dann stapft er mit seinen dicken Stiefeln durchs Dickicht neben dem Zelt, vorbei an vollen Mülltüten, dem gemeinsamen alten Fahrrad, zu einem umgedrehten Eimer – darunter röhrt ein Generator. Er versorgt eine flackernde Lampe im Zelt mit Strom. Lange haben sich die beiden den spärlichen Luxus von ihrem Arbeitslosengeld abgespart. Fließendes Wasser haben die beiden nicht, deshalb tragen sie täglich einen Kanister Wasser von einer nahe gelegenen Tankstelle in den Wald. Als Toilette benutzen sie einen roten Eimer, der einige Meter entfernt vom Zelt steht – und duschen dürfen sie ab und zu bei Freunden. Wenn sie Glück haben, sbgar mehrmals pro Woche, manchmal aber auch eine Woche gar nicht. „Natürlich schäme ich mich dafür“, sagt Kümmel und vergräbt dann den Mund hinter ihrem Schal, Hein senkt den Kopf.

Der gebürtige Kasache hat bis zur Obdachlosigkeit als Möbelpacker gearbeitet und eigentlich eine abgeschlossene Ausbildung als Maschinenbauschlosser. Doch einen Job finden die beiden ohne Wohnung nicht mehr. „Ich vermisse sogar das Spülen und Saubermachen, so dringend wünsche ich mir eine Wohnung für uns“, sagt Kümmel. Gerade kümmert sich der Höhenberger Pfarrer Franz Meurer um die beiden, doch auch er macht sich zunehmend Sorgen um Andreas und Sandra. Für die kommende Woche werden Temperaturen bis zu minus zehn Grad erwartet. Das weiß auch Kümmel. Ihr Blick wird nachdenklich, ihre Augen verengen sich. Dann sagt sie: „Hoffentlich ist die Gasflasche dann nicht wieder leer.“

Wohnungsmangel trifft Obdachlose besonders hart

Der Wohnungsmangel in Köln trifft besonders auch die Schwächsten der Gesellschaft, sagt der Kölner Pfarrer Franz Meurer. Er kümmert sich um das obdachlose Paar im Höhenberger Wald – und um andere, denen es ähnlich geht. „Viele von denen müssen bei Bekannten unterkommen oder leben in ihrem Auto“, sagt Meurer. „Mich ärgert es wahnsinnig, dass wir es in diesem reichen Land nicht schaffen, eine anständige Crundversorgung hinzubekommen.“ Nachfrage beim Kölner Wohnungsamt: Tatsächlich ist die Nachfrage nach Sozialwohnungen aktuell deutlich höher als das Angebot. „Obdachlose fallen da oft hinten herunter“, erklärt Amtsleiter Josef Ludwig. Denn die Wohnungen gehören privaten Anbietern, die die Mieterauswahl autonom treffen. Zuletzt war bekannt geworden, dass die Stadt weit hinter den eigenen Zielen beim sozialen Wohnungsbau hinterherhinkt. In Köln leben aktuell rund 4900 Obdachlose, circa 200 nehmen eine Unterbringung in Notunterkünften nicht in Anspruch. (ram)

Kölner Stadt-Anzeiger

Kölner Stadt-Anzeiger – die führende Tageszeitung im Großraum Köln.

http://www.ksta.de/

Eine Antwort

  1. Haki sagt:

    Ihr beiden habt Glück gehabt. Pfarrer Meurer und Presse das wirkt oft, fast immer. Ich weis um die Gefühle in solch einer Situation wenn man auf dem Boden steht und er einzubrechen scheint. Wünsche so manchen Politiker und anderen Dummschwätzern diese Eure Erfahrung gemacht zu haben. Mit diesem Wunsch bin ich nicht allein, das ist Fakt. Vor sage und schreibe weit über 20 Jahren ist diese Wohnungsnot bekannt und stackniert am Statzus Quo seid all den Jahren. Ich spreche nur vom Neubauen von Sozialwohnungen. Lofts für Juppis und Gutverdiener sind vorhanden. Wenn auch auf hohen Nevau gejammert wird das nicht die passende zugeschnittene Wohnung leicht zu finden sei.
    Es ist nichts geschehen an der sozialen Bebauungssituation. Höchsten im Sinn vom Tropfen auf den heißen Stein.
    Arme Deutschland über dies alles.
    Über alles danken kann man nur Euren Unterstützern.

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