Tristesse am Friesenplatz

 

Tristesse am Friesenplatz

Die Zwischenebene der U-Bahnhaltestelle hat sich zum linksrheinischen Hotspot der Drogenszene entwickelt. Bei schönem Wetter verlagert sich der Treffpunkt auf den oberirdischen Platz. Viele Passanten fühlen sich verunsichert. Die vielen leerstehenden Geschäfte verschärfen das Problem

VON MARTIN BÖHMER UND ALEXANDRA RINGENDAHL

Ayhan zieht den Rauch der Selbstgedrehten in die Lunge. Mit der Dunstwolke sagt er: „Wo sollen wir denn hin?“ Der 40-Jährige, dessen hageres Gesicht aus mehrere Kapuzenschichten vorschaut, war jahrelang heroinabhängig. Seit drei Jahren ist er in Substitutionsbehandlung in einer Arztpraxis am Friesenplatz, holt sich täglich seine Methadon-Dosis ab, die die Drogensucht unterdrückt. Seit drei Jahren trifft er sich dann mit Menschen, die eine ähnliche Geschichte erzählen können, in der unterirdischen Zwischenebene der Bahnhaltestelle. Die Fliesenlandschaft ist ihr Wohnzimmer.

Unter Streetworkern gilt der Friesenplatz inzwischen als linksrheinischer Drogenhotspot der Stadt, wie Streetworker Stefan Lehmann bestätigt, der im Auftragt des Gesundheitsamtes der Stadt jeden Tag vor Ort ist. Gründe dafür, dass die Szene hier einen Konzentrationspunkt gefunden hat, gibt es viele: Die Zwischenebene der U-Bahn, in der sich je nach Wetter mehrere Dutzend Suchtkranke aufhalten, bietet Schutz auch bei Regen und Kälte, der dortige Kiosk bietet Getränkenachschub.

Bei Sonnenschein gibt es zur U-Bahn-Station eine attraktive Alternative: Dann sitzen sie in Gruppen auf den Bänken auf dem Platz vor dem Modegeschäft Weingarten oder auf dem Boden entlang der Fassaden der vielen leer stehenden Immobilien rund um den Friesenplatz, angefangen vom verlassenen Hochhaus, in dem Strauss Innovation vor der Insolvenz Mieter war, bis zum Rex-Kino. Der ehemalige Sitz der Warenhauskette steht seit Anfang 2017 leer.

Die schmierigen Fensterscheiben, die Leere im Gebäudeinneren und der fast zynisch wirkende Schriftzug „Innovation“, der mit Vogelkot überdeckt ist – an dieser Ecke herrscht Tristesse. Auch die zuständige Immobiliengesellschaft Quantum AG ist bislang ohne Plan für den Leerstand: „Wir befinden uns aktuell in Abstimmung mit der Stadt Köln und können hierzu derzeit keine weiteren Informationen mitteilen“, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. „Je unattraktiver ein Ort gemacht wird, desto attraktiver wird er für die Szene“, erläutert Streetworker Lehmann die Dynamik.

Hinzu kommt der seit Monaten hohe Kontrolldruck von Polizei und Ordnungsamt auf dem Neumarkt und dem Ebertplatz, der diese Orte aus Sicht der Klientel unattraktiv gemacht hat und noch mehr von ihnen an den Friesenplatz lockt. Die Menschen seien ja da, und dann finde eben eine Verlagerung statt, erläutert Lehmann. Die Drogenabhängigen, die in der Zwischenebene oder auf dem Platz ihre Tage verbringt, sind nicht aggressiv, es gab dort keine registrierten Zwischenfälle – und doch gibt es angesichts der wachsenden Zahl ein Unbehagen bei vielen Passanten, ein subjektives Unsicherheitsgefuhl. So beklagen die verbliebenen Einzelhändler rund um den Platz massive Probleme: Das Modehaus Weingarten zum Beispiel: Weil die Drogenabhängigen regelmäßig und in größeren Gruppen auf den Bänken in direkter Nähe vor dem Geschäft säßen, fühlten sich viele Kunden verunsichert. Nach Beschwerden des Modehauses bei der Stadt wurden vor einigen Monaten die Sitzbänke abgebaut und mehr in die Platzmitte versetzt.

„Für uns persönlich hat sich die Lage dadurch verbessert“, sagt Annegret Weingarten, Geschäftsführerin des Modehauses. „Aber wir sehen weiterhin Probleme.“ Zumal der Friesenplatz gerade im Umbruch sei: „Es gibt viele Leerstände.“ Sie hofft darauf, dass der siebengeschossige Neubau der Allianz an der Ecke Hohenzollern-ring/Magnusstraße, wo auch Weingarten selbst eine Filiale für Damen-Moden eröffnen will, den Friesenplatz irgendwann wieder attraktiver macht.

Auch in der Parfümerie Müller konstatiert man, dass viele Stammkunden wegen der Drogenszene nicht mehr kämen und massive Umsatzeinbrüche entstanden seien: „Es sind ja auch viele älteren Leute, die zu uns kommen. Die verschreckt so etwas sehr“, erläutert Inhaber Karl Heinz Müller, der zudem einen starken Anstieg der Ladendiebstähle beklagt. Eine Tendenz, die die Kölner Polizei nicht bestätigen kann: Sie verzeichnet für den Friesenplatz sogar einen deutlichen Rückgang bei Diebstählen und Raub. Seit Oktober vergangenen Jahres ist ein Präsenzteam der Polizei regelmäßig vor Ort und hat seither mehr als 100 Platzverweise ausgesprochen und rund 170 Personen kontrolliert. Auch beim Ordnungsamt der Stadt sieht man keine steigenden Auffälligkeiten am Friesenplatz: Die Zahl der Platzverweise sei definitiv nicht gestiegen, und es gebe auch keinen wahrnehmbaren Anstieg etwa beim aggressiven Betteln, sagt Stadtsprecher Jürgen Müllenberg. Natürlich gebe es die mit der Drogenszene verbundene Probleme wie zahlreiche lagernde Personen und auch teilweise das Problem des Urinierens oder das Hinterlassen von Fäkalien. Aber das sei eben schwierig zu ahnden, weil man die Personen „quasi in flagranti“ erwischen müsse.

Laut Streetworker Lehmann handelt es sich – anders als etwa am Neumarkt – am Friesenplatz nicht um die klassische Dealerszene. In der benachbarten Arztpraxis werden Drogensüchtige behandelt. Vormittags werden Ersatzstoffe wie Methadon an Süchtige vergeben. Viele der Substituierten verbringen danach ihren Tag am Friesenplatz. Die allermeisten von ihnen seien an städtische Hilfesysteme angedockt, hätten zum Teil auch eigene Wohnungen. „Das Abhängen ist gerade in der Substitution eine Strategie gegen Vereinsamung und Langeweile. Das, was als Drogenabhängiger dem Tag Struktur gegeben hat, fällt weg: Der Dreiklang aus Beschaffen, Konsumieren und Ausruhen.“ Der Treffpunkt am Friesenplatz vermittele als stabilisierender Faktor das Gefühl, dass man auf diese Art am öffentlichen Leben teilnehme, Leute treffe und kommuniziere.

„Das ist wie »Und täglich grüßt das Murmeltier«“, sagt Ayhan über seinen Alltag. „Methadon abholen, Bier trinken und dann über Scheiße reden, jeden Tag.“ Seit einiger Zeit werde das aber immer schwieriger, da der Platz in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist: Mit Polizei, Ordnungsamt und KVB-Sicherheitsdienst fühle es sich jetzt an wie ein Katz- und Mausspiel. „Jeden Tag werden wir kontrolliert“, schildert er. „Doch die Beamten treffen nicht die Richtigen, die Dealer haben Spitzel und türmen, wenn die Polizei im Anmarsch ist.“ Einen Ausweg sieht er nicht. „Das ist jetzt mein Leben“, sagt er. Und der Friesenplatz sein Wohnzimmer. „Man versucht, uns zu verdrängen, aber irgendwohin müssen wir.“

Streetworker Lehmann versteht, dass die große Menge seiner Klienten Irritationen und ein subjektives Unsicherheitsgefühl auslöst. Aber auch die Drogenabhängigen hätten das Recht, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten. „So lange sie nicht straffällig werden oder gegen Regeln verstoßen, muss eine offene Stadtgesellschaft; das aushalten“, konstatiert er. „Und: Wer mit ihnen in Kontakt tritt, stellt fest, dass die allermeisten einfach harmlos sind. Betrunkene an Karneval sind unangenehmer.“ Für seine Klienten wünscht er allerdings deutlich mehr Konsumräume und mehr städtische Aufenthaltsmöglichkeiten mit flexibleren Öffnungszeiten. „Damit sie Orte finden, wo sie am auch Wochenende hingehen können, um weniger an Orten wie dem Friesenplatz abzuhängen. Ayhan hat da wenig Hoffnung. Für ihn ist nur eines klar: Wenn der Friesenplatz nicht mehr sein Wohnzimmer sein darf, wird er sich einen anderer Ort in der Stadt suchen.

Kölner Stadt-Anzeiger

Kölner Stadt-Anzeiger – die führende Tageszeitung im Großraum Köln.

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Eine Antwort

  1. Haki sagt:

    Eher Tristesse an der Handlungsbereitschaft der Gesundheits- und Drogensozialpolitik im Städle.
    Fehlende ausreichende Treffpunkte und Unterstützung hinaus über die normale Abschlucksubstitution. Mir kommt es vor wie kontroliertes Vernichten dieses Millieus vor den Augen der ängstlich fürchtenden Gesellschaft.
    Es ist kein schön anzusehendes Bild am Friesenplatz. Weder für Betrachter noch für die zu Betrachtenden. Wenn plötzlich all diese Menschen „weg“ wären welcher Hahn würde dann krähen. – Aber das hatten wir ja schon…

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