Ein Gefühl von Angst und Ohnmacht

 

Spritzen auf Kita-Gelände verunsichern Eltern – „Junkie-Bund ist nicht das Problem“

VON JÖRG FLEISCHER

2006-08-31-rundschau-ein_ge.jpgHUMBOLDT-GREMBERG. Wenn die Pänz der Kindertagesstätte Burgenlandstraße bei schönem Wetter draußen spielen wollen, dann ist das nicht so einfach wie bei vielen anderen Einrichtungen. „Zunächst müssen die Erzieherinnen das Außengelände nach gebrauchten Spritzen absuchen“, erzählt Ramona Kindor, deren Tochter die Kita besucht. Und meistens werden sie fündig. Als jetzt wieder eine ganze Dose voll Spritzen zusammenkam, war für viele Eltern das Maß voll. „Es ist einfach nur furchtbar. Wir leben in einer ständigen Angst. Kein Kind kommt alleine oder geht alleine nach Hause. Und meine Kinder lasse ich nicht unbeaufsichtigt auf die Straße“, schimpft Ramona Kindor.
Ein Gefühl der Angst und der Ohnmacht hat sich breit gemacht, nicht nur bei den Eltern aus der Burgenlandstraße. „Immer wieder sprechen mich die Leute an und beklagen sich über die Drogenszene im Viertel“, erzählt Helga Perschmann-Plättner, Vorsitzende des Bürgervereins Humboldt-Gremberg. Die in der Kita gesammelten Spritzen hat sie in eine Keksdose gepackt. Argumentationshilfe, wie sie sagt. Denn von Politik und Verwaltung fühlen sie und viele andere Menschen im Stadtteil sich schon lange nicht mehr ernst genommen. „Einige wollen wegziehen, weil sie es nicht mehr aushalten.“
Bei der Frage nach den Ursachen hört man immer wieder zwei Namen: „Junkie Bund“ und „Kulturverein“, beide an der Taunusstraße. Der „Junkie Bund“ kam Ende 2003. Bei der Selbsthilfeorganisation finden Süchtige Betreuung und Beratung und können Spritzen tauschen. „Wir sagen unseren Leuten immer wieder, dass sie sich von Schulen und Kindergärten fern halten sollen. Mehrmals in der Woche gehen wir rum und sammeln Spritzen ein. So etwas wie in der Kita Burgenlandstraße billigen wir nicht. Es liegt auch absolut nicht in unserem Interesse“, betont Manfred Krekeler vom „Junkie Bund“.
Der „Kulturverein“ in einem benachbarten Ladenlokal scheint sich aber zu einem Umschlagsplatz für Drogen entwickelt zu haben. Anwohner bestätigen, dass dort gedealt wird. Auch von Prostitution und Hehlerei ist die Rede. „Das ist ein Brennpunktbereich, der uns bekannt ist. Dort werden Straftaten begangen“, stellt Gerhard Wallmeroth, Leiter der Polizeiinspektion Südost, fest. Wegen Fußball-WM und Urlaubszeit hatte er in den letzten Monaten aber nicht genügend Personal. Das soll sich jetzt ändern. Und auf den „Kulturverein“ wolle man „ein Auge werfen“.
Bezirksbürgermeister Winfried Dohm (CDU) bemängelt, dass „die Sache laufen gelassen wurde“. „Der Standort vom ,Junkie Bund‘ ist falsch, die Verwaltung muss einen anderen Ort finden.“ So einfach geht es aber wohl nicht. „Wir haben lange gesucht und uns dann für diesen Standort entschieden“, sagt Gesundheitsdezernentin Ursula Christiansen. Ein Umzug würde das Problem auch nicht lösen. „Die Szene war schon vorher da und würde nicht einfach verschwinden.“ Außerdem erreiche der „Junkie Bund“ mit seinen Angeboten nur einen Teil der Süchtigen. Das Fehlverhalten vieler Junkies könne nicht automatisch der Selbsthilfeorganisation angelastet werden. Im Fall der Kita Burgenlandstraße sagte aber Christiansens Referentin Erika Meißner zu, dass „umgehend etwas unternommen wird“.
„Der Junkie Bund‘ ist nicht das Problem“, meint auch Oliver Krems, Vorsitzender der SPD-Fraktion in Kalk. Er plädiert dafür, dass Politik und Verwaltung mehr Präsenz zeigen. „Wir müssen die Sorgen ernst nehmen.“ Grünen-Fraktionschefin Angela Behring fordert einen „Druckraum“ für Drogenabhängige im Rechtsrheinischen. Die Situation in Humboldt-Gremberg ist auch beim Kriminalpräventiven Rat am Montag ein Thema.

2006-08-31-rundschau-kommen.jpgNicht polarisieren
Kommentar von Jörg Fleischer

Gebrauchte Spritzen haben auf einem Kita Gelände nichts zu suchen. Punkt. Das muss nicht diskutiert, erörtert oder untersucht, das muss verhindert werden. Und wenn im Umfeld eines „Kulturvereins“ Straftaten begangen werden, dann muss das geahndet werden. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Auf der anderen Seite ist es nicht hilfreich, den „Junkie Bund“ für die Situation verantwortlich zu machen. Die Drogenszene gab es schon vorher in Kalk und Humboldt-Gremberg, nachdem sie vom Neumarkt Vertrieben wurde.
Verwaltung, Politik und Polizei müssen verstärkt Präsenz zeigen, nicht nur mit Absichtserklärungen. Kitas und Spielplätze müssen für Kinder sicher werden, rund um die Uhr. Aber auch das Gespräch muss wieder aufgenommen werden. Wenn die Fronten verhärten und weiter polarisiert wird, hilft das niemandem.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte dich auch interessieren …