8. Nationaler Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher

 

Am 21. Juli 1998 wurde an der „Gedenkstätte für verstorbene Drogengebraucher“ in Gladbeck zum ersten Mal der vom „Landesverband der Eltern und Angehörigen für humane und akzeptierende Drogenarbeit NRW e.V.“ ausgerufene Gedenktag abgehalten. Er schließt sowohl das Gedenken an die verstorbenen Drogengebraucher, die immer zugleich auch Kinder, Partner und Freunde waren, als auch die Forderung nach einer humanen Drogenpolitik und akzeptierenden Drogenarbeit mit ein.

Inzwischen ist dieser Tag auch in Köln zur festen Einrichtung geworden. Der Junkie Bund Köln e.V. begeht diesen Tag des Gedenkens, der Aktionen und des Protestes im Kontaktladen in der Taunusstr. 12b.

Bundesweite Forderungen

  • Heroin als Regelbehandlung
  • Spritzenvergabe im Strafvollzug
  • Legalisierungsmodelle andenken

Kommunale Forderungen

  • Weg mit Sperrgebietsverordnungen für Randgruppen
  • Konsumraum im rechtsrheinischen Köln
  • Ausreichende psychosoziale Betreuungs-Plätze für die Substitution

In 2005 erreichten wir in Köln mit 59 Drogentoten den höchsten Stand der letzten 4 Jahre. Entsprechend der offiziellen Zahlen ist dies gegenüber 2004 ein Anstieg um 27 Menschen. Wir trauern und gedenken all der Prohibitionstoten – zumeist Opfer einer verfehlten Drogenpolitik!

Programm

2006_07_21_001.jpg12:00 – 15:00 Uhr

  • Frolleinwunder
    (Akustik-Set unplugged)
  • Paco de Sousa
    (Gitarre und Gesang)
  • Redebeiträge

2006_07_21_002.jpg2006_07_21_003.jpgIm Rahmen der Veranstaltung besteht wie in den letzten Jahren die Möglichkeit, den traditionellen „Junkie Bund Sarg“ mit den Namen unserer verstorbenen Freunde und Angehörigen zu beschriften oder im ausliegenden Kondolenzbuch persönliche Gedanken niederzuschreiben.

Redebeitrag von Pfarrer Jörg Wolke
(ev. Kirche in Köln Höhenberg/Vingst)

Ich bin Pastor der ev. Kirche im Rheinland und bin als Redner zum heutigen Tag eingeladen worden, weil mir als Gemeindepfarrer in Höhenberg/Vingst in meiner täglichen Arbeit Menschen begegnen, zu denen Sie in Ihrer Arbeit auch Kontakt haben.

Ich bin kein Experte für Drogenfragen.
Ich will keine Ratschläge geben zu Dingen, von denen Sie mehr verstehen, als ich.

In der Vorbereitung für heute habe ich Ihre Dokumentationen zu den Gedenkfeierlichkeiten der Jahre 2000, 2002 und 2003 gelesen und den Eindruck gewonnen, dass aus fachlicher Sicht auch längst die wichtigen und entscheidenden Dinge gesagt wurden.

Es fehlt nicht an den nötigen Erkenntnissen, um die Lebenssituation Drogengebrauchender zu verbessern und das unnötige Sterben Drogensüchtiger zu verhindern Was fehlt, ist der politische Wille, die gewonnenen Einsichten umzusetzen Und dahinter verbirgt sich der fehlende gesellschaftliche Wille, denn die Politiker, die nicht wollen, wurden mehrheitlich gewählt, – auch wegen ihrer Haltung in der Drogenpolitik.

Pfarrer WolkeEs ist für mich kein Zufall, nicht ein Ergebnis einer schicksalhaften, allgemeinen Gleichgültigkeit, dass Sie in Ihrer Trauer um die Toten, die Sie beweinen, öffentlich wenig wahrgenommen und alleingelassen werden. Dahinter drückt sich ein tiefgreifendes Unbehagen unserer Gesellschaft aus gegenüber allen Lebensformen, die nicht der Norm entsprechen und von der Mehrheit als nicht normal, abnorm und damit außerhalb ihrer selbst verstanden werden. Es ist das grundlegende Missverständnis unserer Gesellschaft, zu glauben, dass die soziale Gemeinschaft „Bundesrepublik Deutschland“ sich eben nur aus den Menschen zusammensetzt, die sich an die Mehrheitsnorm halten und alle anderen stehen zumindest am Rande, sind Randgruppen, wie sie genannt werden, oder stehen sogar außerhalb, im Abseits, wie es heißt.
Es muß erst wieder vermittelt werden, und zwar ganz dringend, dass unsere soziale Gemeinschaft aus allen Menschen besteht, die innerhalb der Grenzen Deutschlands leben.

Ich selbst kenne diese Haltung als schwuler Mann und habe sie sehr bitter zu spüren bekommen, als Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre um mich herum Bekannte und Freunde an Aids wegstarben und es Menschen gab, die ihren Tod als verdiente Strafe für einen unseriösen, unmoralischen Lebenswandel sahen. Leider muß ich sagen, dass sich daran auch Kirchenvertreter beteiligt haben.

Ich halte es für dringend an der Zeit und möchte Ihnen Mut machen, sich dabei wie bisher selbstbewusst und kreativ zu zeigen, die Verantwortungsträger in unserem Land an die Grundlagen ihres Handelns zu erinnern, um so mehr, als sie selbst eine völlig überflüssige Debatte um „Leitkulturen“ eröffnet haben.

Es gibt eine schriftlich verfasste und rechtsverbindliche Leitkultur in unserem Land, die heißt „Grundgesetz“. An ihr muß sich jegliches gesellschaftliche Handeln in Deutschland messen lassen.

Und da heißt es nun mal in Art. 1,1:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

ev. Pfarrer Jörg WolkeEs gibt hier keinerlei Einschränkung oder Klassifizierung in Würde 1. Klasse für alle Normalbürger und eingeschränkte Würde 2. Klasse für die, die jenseits der Norm leben. Es wird immer einzelne geben, die uns Abnormen verachten, weil wir schwul sind, weil wir behindert sind, weil wir nach ihren Maßstäben kriminell sind, weil sie uns für erfolglos halten, von mir aus auch am Leben gescheitert.

Wir werden die Dummen nicht ausrotten.

Aber es muß immer Aufgabe der staatlichen Gewalt bleiben, uns vor den Folgen dieser Verachtung einzelner zu schützen.

Unsere Würde ist unantastbar.

Wir haben ein durch die Verfassung gegebenes Recht darauf, anders zu sein, fehlerhaft zu sein, meinetwegen auch, wenn die Mehrheit es so nennen will, erfolglos zu sein und am Leben zu scheitern. Und es ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, uns zu schützen.

Und das wird auch noch konkreter für den Konflikt vieler Drogengebrauchender zwischen Gesundheit und Straffälligkeit.
Herr Hüsgen hat als Schirmherr Ihres Gedenkens 2003 diesen Konflikt eindrücklich auf den Punkt gebracht, ich brauche das nicht zu wiederholen.

In Art. 2,2 des Grundgesetzes heißt es:

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In die Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“

Dass diese Gesetze und ihre Auslegung den über allem stehenden Schutz des Lebens auch bei der Verfolgung von Drogenkriminalität nicht brechen dürfen, daran hat der Europäische Gerichtshof die staatliche Gewalt in Deutschland gerade erst erinnert, indem er den Gebrauch Brechreiz auslösender Medikamente bei Drogenkurieren verbot. Warum soll es nicht möglich sein, dass der Europäische Gerichtshof Deutschland zu einer Substitution Drogengebrauchender verpflichtet, um deren Leben zu erhalten? Der Schutz des Lebens muß vor der Strafverfolgung von Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz stehen.
Wenn der Staat das nicht tut, obwohl er laut Grundgesetz als einziger die Möglichkeit hat, durch Gesetzgebung das Recht auf Leben zu beeinflussen, nenne ich das fahrlässig. Dass er das kann, zeigt er ja darin, wie er gesetzlich mit Alkohol umgeht.

Ein Gedenktag wie dieser ist ein Tag, an dem an solche strukturellen Probleme erinnert werden muß.

Aber es ist auch ein Tag der ganz persönlichen Trauer.

Deshalb möchte ich Ihnen zu dieser Trauer etwas sagen und ich tue es bewusst als Pastor:
Die wirklich erlösende Botschaft christlichen Glaubens ist, dass wir uns um Verstorbene keine Sorgen mehr machen müssen. Da, wo Gott allein ihr Schicksal bestimmt ohne dass Menschen mit Ihren Interessen dazwischen funken können, geht es ihnen so gut, wie es ihnen auf Erden niemals gehen könnte. Das zumindest ist die Botschaft meines Glaubens.
Deshalb sage ich Ihnen aus meinem Glauben heraus: Grund zur Trauer ist nicht der Tod der Gestorbenen, Grund zur Trauer ist ihr ungelebtes Leben und ich verstehe die Wut, die sich in manchen Beiträgen Ihrer Dokumentationen ausdrückt, dass die Politik nicht bereit ist, dieses Leben durch eine veränderte Gesetzgebung oder auch nur eine veränderte Handhabung der bestehenden Gesetze möglich zu machen.

Ich stimme deshalb uneingeschränkt dem oft zitierten Spruch zu:

„Wo Leben ist, da ist Hoffnung – und unser allererstes Ziel in der Drogenpolitik sollte darin bestehen, diese Hoffnung am Leben zu erhalten, indem wir die Abhängigen am Leben halten!“ (Heath Brook, Australien)

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