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Die Deutsche Leberstiftung und das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS) führten im Herbst 2009 mit dem Partner Essex Pharma eine Expertenbefragung zur medizinischen Versorgung von substituierten Opiatabhängigen in der suchtmedizinischen Praxis durch. Hintergrund der Befragung ist eine angenommene Verschärfung der Versorgungslage in der Substitution sowie der infektiologischen Behandlung Substituierter.
Seit ihrer Etablierung gilt die Substitutionsbehandlung als das Erfolgsmodell in der medizinischen Versorgung Opiatabhängiger. Ihr Erfolg spiegelt sich nicht zuletzt in der gestiegenen Anzahl gemeldeter Substitutionspatienten (zwischen 2002 und 2009 ein Anstieg um knapp 62%3) wider. Unter der Annahme einer stabilen Anzahl an Opiatabhängigen im genannten Zeitraum (ca. 135.000 opiatabhängige Personen im Jahr 20034) entspricht dies einer Zunahme der Reichweite von ca. 34% auf ca. 57%. Die Zahl der aktiv substituierenden Ärzte bleibt dagegen weitgehend stabil (2003: 2.607; 2009: 2.7003). Laut Schulte et al. wird sich die Versorgungsstruktur gerade im ländlichen Bereich – aufgrund altersbedingter Praxisschließungen und Rückzügen aus der Substitutionsbehandlung – verschärfen. Die Folgen einer möglichen Unterversorgung wären weitere Anfahrtswege für Patienten und eine Überbelastungen der Ärzte, die in diesen Gebieten noch substituieren.
Auch bezogen auf die infektiologische Behandlung könnten sich aus dieser Situation negative Folgen ergeben. In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin e.V. (DGS e.V.) zur Therapie der chronischen Hepatitis C (HCV) bei i.v. Drogengebrauchern wird verdeutlicht, dass die Substitutionsbehandlung in der Suchtmedizin das beste Setting für eine HCV-Therapie darstellt. In einem Substitutionsprogramm entspricht die Therapieerfolgsrate (SVR) nach antiviraler Therapie der Rate der Allgemeinbevölkerung.
In vorhergehenden Studien wurden jährliche HCV-Behandlungsraten von 8,5%-11,2% gefunden, welche kaum ausreichen dürften um die HCV-Durchseuchungsraten unter Drogenabhängigen (Lebenszeitprävalenzen von 60%-80%7;) in Bezug auf die Reduktion weiterer Transmissionen entscheidend zu verringern. Ebenso wie bei der HCV-Infektion gilt der i.v.-Drogengebrauch bei einer Humanen Immundefizienz Virus-Infektion (HIV) als Transmissionsrisiko. Rund 10% aller HIV-infizierten Menschen sind drogenabhängig. In Deutschland wird die Zahl der HIV-infizierten i.v.-Opiatabhängigen auf 6.500 geschätzt. Bei einer Anzahl von 135.000 Opiatabhängigen in Deutschland liegt die HIV-Prävalenz in dieser Gruppe bei ca. 4,7%.
Mit dieser bundesweiten Expertenbefragung im Herbst 2009 wurden die identifizierten Hemmnisse in der Substitution und infektiologischen Versorgung von Opiatabhängigen erstmals einer Gruppe von 2.332 aktiv substituierenden Ärzten zur Bewertung vorgelegt. Die Befragung soll einen Beitrag zur Identifikation und zum Abbau von strukturellen und fachlichen Hemmnissen in der Substitution und infektiologischen Versorgung von Opiatabhängigen leisten. Die Reichweite der Befragung und das damit verbundene hohe Datenaufkommen lassen eine höhere Repräsentativität erwarten, zugleich sind Subanalysen möglich.
Insgesamt konnten 700 Bögen in die Analyse einbezogen werden (Rücklauf 30,0%). Die substituierenden Ärzte sind größtenteils in Großstädten angesiedelt und überwiegend in Einzelpraxen (53%) sowie Gemeinschaftspraxen (32%) organisiert. Die am häufigsten vertretene medizinische Fachrichtung ist Allgemeinmedizin, ca. 50% der Teilnehmer sind Mitglied einer medizinischen Fachgesellschaft u.a. DGS e.V. 18%, DSÄ e.V. 8% und DAGNÄ e.V. 7%. Die Teilnehmer sind durchschnittlich jeweils 12 Jahre in der Substitutionsbehandlung bzw. HIV-Therapie tätig und knapp 9 Jahre in der HCV-Therapie. 11% der Teilnehmer werden kurzfristig (1-3 Jahre) und 32% mittelfristig (4-8 Jahre) aus der Tätigkeit ausscheiden. Eine Abgabe der Einrichtung an einen substituierenden Arzt planen 38% der Teilnehmer, 17% planen dies nicht.
Je Einrichtungen werden jährlich ca. 75 Substituierte betreut. Die am häufigsten benutzten Substitutionsmittel sind Methadon/Polamidon (49%/23%), Subutex (17%) und Suboxone (8%). Bezogen auf die Hemmnisse in der Substitutionstherapie werden der hohe Regulierungsgrad und administrative Aufwand sowie die juristischen Konsequenzen bei Verstößen mit jeweils ca. 80% Zustimmung (Skala von 1=nicht zutreffend bis 5=sehr zutreffend; Kategorien: 4=häufig zutreffend oder 5=sehr zutreffend) als hinderlich empfunden. Auch die mangelnde Honorierung (ca. 75%) wird als störend für die Durchführung der Substitutionsbehandlung empfunden. 6,1% der Teilnehmer wollen die Substitutionsbehandlung zukünftig nicht fortführen, Gründe für den Ausstieg sind Befürchtungen juristischer Konsequenzen, ein hoher administrativer sowie medizinischer Aufwand und eine mangelnde Honorierung. Dementsprechend sind die Verbesserungsvorschläge für die Substitution und Infektiologie der Bürokratieabbau, eine bessere Honorierung der Tätigkeit, ein Abbau juristischer Hürden und ein Ausbau an Substitutionsplätzen.
Die HIV-Prävalenzrate wird mit 6,2%, die HCV-Prävalenzrate mit 53,5% und eine HIV-/HCV-Ko-Infektion mit 7,5% angegeben. Die Prävalenz der HCV-RNA unterteilt nach Ort bzw. Art der Einrichtung wird in Abbildung 1 dargestellt.
Die Testung auf HIV/HCV (Mehrfachantwort) wird von 37% der Teilnehmer regelhaft durchgeführt, 10% testen alle 6 Monate, 30% alle 12 Monate und 40% auf klinischen Verdacht. Häufige Vor- und Nachsorgemaßnahmen bei drogenassoziierten Infektionskrankheiten sind das ärztliche, informative Gespräch (83%), eine Überprüfung der Behandlungsfähigkeit (77%) und eine Aufklärung über die Infektionswege (63%). In ca. 25% der Einrichtungen wird eine antiretrovirale HIV-Therapie und in ca. 50% eine antivirale HCV-Therapie angeboten. Die durchschnittliche Anzahl an HIV-Therapien beträgt 15 Behandlungen pro Jahr und Einrichtung, die der HCV-Therapie 10 Behandlungen pro Jahr und Einrichtung. Die HIV-Behandlungsrate beträgt 78,5%, die HCV-Behandlungsrate 12,7%. Die Dauer der suchtmedizinischen Stabilisierungsphase vor Einleitung einer infektiologischen Behandlung wird mit durchschnittlich 11 Monaten angegeben. Häufige patientenbezogene Ausschlussgründe von der infektiologischen Therapie sind eine mangelnde Therapieadhärenz (46%), eine psychiatrische Komorbidität (36%) und zu erwartende Nebenwirkungen (21%). Strukturelle Therapieausschlussgründe sind eine unzureichende fachliche Erfahrung (HIV 51%; HCV 27%), hohe Therapiekosten (HIV 24%; HCV 18%) und unkalkulierbare Behandlungsrisiken (HIV 20%; HCV 13%).
Erleichternde Faktoren für die Initiierung einer infektiologischen Behandlung sind eine gesicherte Finanzierung (HIV 28%; HCV 32%), spezifische Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (HIV 26%; HCV 27%) und eine Verbesserung der Vernetzung mit Kompetenzpartnern (HIV 22%; HCV 24%). Bei der Frage nach Gründen für eine Nicht-Teilnahme an infektiologischen Weiterbildungsmaßnahmen wurde ein anderer Schwerpunkt bzw. fehlender Bedarf (10%), eine vorhandene Kooperation mit Spezialisten (8%), Zeitmangel (6%) und ein zu hoher Aufwand (4%) angegeben. Verbesserungsvorschläge liegen im Bereich des Angebots regionaler (4%), häufigerer (2%) und praxisorientierter (2%) Weiterbildungsmaßnahmen. Die konsiliarische Kooperation wird bei der HIV- und der HCV-Therapie häufiger in Facharztpraxen gesucht. Die infektiologische Versorgung der Substitutionspatienten wollen ca. 26% der Teilnehmer zukünftig nicht fortführen, Gründe für den Ausstieg sind die mangelnde fachliche Kompetenz, ein zu hoher medizinischer Aufwand und die mangelnde Honorierung.
Der Großteil der Teilnehmer (ca. 70%) kann das Stadium der Lebererkrankung selbstständig einschätzen. Einen hepatologischen Rat erhalten die Teilnehmer vorwiegend vom Gastroenterologen (52%), aus der Klinik (47%) oder vom Internisten (27%).
Es besteht deutlicher Handlungsbedarf, um die medizinische Versorgung Substituierter für die Zukunft sicherzustellen. Die strukturellen Hemmnisse in der Versorgung sind identifiziert und erfordern entschiedenes Handeln in Form einer Anpassung der Rahmenbedingungen und Anreizsysteme in der Substitution. Die Rate der jährlichen HCV-Behandlungen (12,7%) liegt leicht über dem Niveau der COBRA-Studie (11,2%) und deutlich über dem Niveau der Studie unter DGS-Mitgliedern (8,5%). Als Ursachen für die Unterschiede zwischen der DGS-Studie und der COBRA-Studie bzw. der aktuellen Studie kommen Selektions- und Zeiteffekte in Betracht. Bezogen auf die HIV- und/ oder HCV-Versorgung geben 59,3% der Teilnehmer an, sich fachlich unzureichend gerüstet zu fühlen. Diese Gruppe gibt zugleich einen signifikant erhöhten Bedarf an spezifischen Fort- und Weiterbildungsangeboten, an besserer Vernetzung sowie an spezifischen Einrichtungskonzepten an. In diesem Zusammenhang könnte die Erarbeitung von Praxiskonzepten für die HIV-/HCV-Therapie sinnvoll sein. Zudem sollte der Bedarf an regionalen Qualitätszirkeln, insbesondere im ländlichen Raum, überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Hier könnte die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Hepatologen gesucht werden, da diese die fachliche Kompetenz in der hepatologischen Versorgung aufweisen. Die hohe Anzahl an Substitutionspatienten, die zukünftig eine HCV-Therapie benötigen werden, stellt enorme Ansprüche an die behandelnden Ärzte. Eine Kooperation zwischen substituierenden Ärzten und Hepatologen wäre für die adäquate Versorgung der HCV-positiven Substitutionspatienten förderlich.
Die Verbesserung der finanziellen und juristischen Rahmenbedingungen, die über (fach-)politische Lobbyarbeit zu leisten wäre, stellt einen weiteren Baustein zur Förderung von Substitution und infektiologischer Behandlung dar. Eine einheitliche und gesicherte Finanzierung der psychosozialen Betreuung ist anzustreben. Zudem sollten Wege gefunden werden, die Akzeptanz opiatabhängiger Patienten von Seiten psychiatrischer und psychotherapeutischer Fachärzte zu erhöhen. In der Honorierung könnte eine höhere Vergütung von Konsiliar- und Koordinierungsleistungen sowie Qualitätssicherungsmaßnahmen einen Beitrag zur Verbesserung der Substitutionsbehandlung leisten. Zudem ist auch bis heute die substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger, trotz zahlreicher Nachweise ihrer Wirksamkeit, als gleichwertige Therapieform neben der Abstinenztherapie nicht auf allen Ebenen akzeptiert. Hier müsste weitere Aufklärungsarbeit geleistet werden, um die Opiatabhängigkeit anderen chronischen Erkrankungen gleichzustellen.
Dr. Jens Reimer · Dirk Gansefort · Nina Steinhagen
Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg
Martinistraße 52 · 20246 Hamburg
E-Mail: reimer@uke.uni-hamburg.de
Prof. Dr. Heiner Wedemeyer · Bianka Wiebner
Deutsche Leberstiftung
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E-Mail: Wiebner.Bianka@mh-hannover.de
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