Sucht ist schließlich ein Supergeschäft

 

2013_11_26_interview_kruettNorbert Krütt-Hüning will das Hilfesystem für Abhängige umkrempeln

Herr Krütt-Hüning, hat Köln ein Drogenproblem?

NORBERT KRÜTT-HÜNING: Ich habe das Gefühl, dass gerade eine gesellschaftliche Veränderung stattfindet, und die Drogen entwickeln sich mit. Es geht nicht mehr nur um den Rausch, der vielleicht früher im Vordergrund stand. Drogen werden zielbewusst eingesetzt. Wir verschieben uns in die Partyszene. Amphetamine, Tabletten, alles was schnell geht und chemisch hergestellt werden kann -dieser Markt boomt momentan.

Kommt die Drogenberatung da noch hinterher?

KRÜTT-HÜNING: Nein. Klassisch kommt die Drogenkoordination aus dem Bereich der harten Drogen der 70er Jahre. Unser Hilfesystem ist noch nicht ausreichend auf die neue Entwicklung ausgerichtet. Es fehlen etwa Strategien für Konsumenten von Partydrogen. Da sind wir noch zu stark in der Prävention. Die Partyszene läuft versteckt. Die alten Systeme funktionieren da nicht mehr, wir haben nicht den nötigen Zugriff.

Aber Ecstasy gab es schon in den 90er Jahren. So neu ist das nicht mehr. Warum ist die Stadt nicht hinterhergekommen?

KRÜTT-HÜNING: Die Techno- oder Clubszene war früher sehr klein. Das hat sich stark verändert, der Markt ist größer geworden. Sie kriegen die „Sachen mittlerweile überall hinterhergeworfen. Überspitzt gesagt können Sie heute in jeder Kneipe Amphetamin kaufen.

Haben Sie Ideen, wie man in die Szene reinkommt?

KRÜTT-HÜNING: In der Schweiz gibt es ein gutes Konzept: Da stehen Busse mit kleinen Laboren vor Clubs, und die Leute können dort ihre Substanzen testen lassen. Denn wenn die heute was kaufen, wissen sie gar nicht, wie viel Prozent Rattengift oder Ajax da drin ist. Die Schweizer wollen dadurch aufklären. In Deutschland sind solche Schnelltests rechtlich leider nicht möglich.

Haben Sie andere Ideen?

KRÜTT-HÜNING: Noch nicht. Wir wollen uns aber nächstes Jahr mit den Trägern des Drogenhilfesys-tems zusammensetzen und überlegen: Wie können wir uns neu aufstellen? Wo muss sich das Hilfesystem ändern?
Partydrogen werden eher im Verborgenen konsumiert, viele stören sich vor allem an Heroin-Junkies auf öffentlichen Plätzen in der Stadt. KRÜTT-HÜNING: Die Menschen dürfen dort stehen.das ist ihr gutes Recht. Man muss aber auf das Gleichgewicht achten: Wenn Sie die Treppe zum Dom hochgehen, und da sitzen nur noch Junkies -das würde nicht funktionieren.

Gibt es nicht genug Arbeitsangebote für diese Menschen ?

KRÜTT-HÜNING: Da haben wir in der Tat ein Problem. Es ist unheimlich schwer, Beschäftigung zu finden für Menschen, deren Leistungsfähigkeit nach jahrelangem Drogenkonsum stark eingeschränkt ist. Ich hatte hier kürzlich jemanden sitzen, der drei Jahre clean war, aber in dieser Zeit nichts gemacht hat. Er sagte: „Mein Freundeskreis war die Szene, der Kick, dem ich hinterhergelaufen bin, die Kriminalität. Das war mein Leben.“ Der ist zurück in die Szene.

Wer ist in der Pflicht, Arbeitsangebote zu schaffen?

KRÜTT-HÜNING: Vom Sozialge-setzbuch her die Bundesagentur für Arbeit. Denn 80 Prozent dieser Menschen sind erwerbsfähig, zumindest für drei Stunden am Tag, wie es das Gesetz vorsieht. Die Bundesagentur ist mit ihnen überfordert, weil es ihr Ziel ist, möglichst schnell auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Aber das ist nur für wenige realistisch.

Wie kann man das ändern?

KRÜTT-HÜNING: Wir müssen den Menschen eine Perspektive bieten. Ein Leben ohne Drogen nach einer Entgiftung muss einen Sinn bekommen. Viele brauchen Langzeitangebote, die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt sind. In Köln bieten die Zweiradwerkstatt „180 Grad“ des Internationalen Bundes und das Alexianer-Krankenhaus spezielle Beschäftigungsmöglichkeiten für Ex-Junkies. Aber dann wird es schon dünn. Da müssen wir Lösungen finden.

Es gibt ein umfangreiches Hilfesystem in Köln, mit zahlreichen Trägern und Angeboten. Von außen betrachtet wirkt das fast wie ein Dschungel. Gibt es eine Gesamtstrategie?

KRÜTT-HÜNING: Grundsätzlich ist es so, dass die Stadt die Aufgaben nicht selbst erfüllt, sondern sie an verschiedene Träger weitergibt. Natürlich liegt da ein Gesamtkonzept zugrunde. Jedes Hilfsangebot hat einen bestimmten Auftrag. Zum Teil bauen sie aufeinander auf, zum Teil sind sie auch parallel.

Funktioniert denn dieses Netz? Was kann man verbessern?

KRÜTT-HÜNING: Wie so viele Hilfesysteme ist auch dieses über Jahre gewachsen. Irgendwann hat man Strukturen, die nicht mehr zielgenau sind. Ich will nächstes Jahr eine Bestandsaufnahme machen.

Gibt es ein Controlling der Träger?

KRÜTT-HÜNING: Bislang noch nicht so, wie ich es gerne hätte. ”¢Wir müssen doch fragen: Wofür exakt bekommt ein Träger sein Geld? Ich möchte wissen, welche Leistung abgerufen und ob den Menschen geholfen wurde.

Wie lassen sich die Erfolge messen?

KRÜTT-HÜNING: Das ist im Sozialbereich eine schwierige Frage. Ich glaube al>er, man kann Erfolg definieren. Der kann ja auch ganz klein sein. Darüber muss man sich nur mit den Trägern verständigen, denn die Träger haben das Wissen und die Erfahrung, sie sind am nächsten dran an den Betroffenen.

Was kostet die Aufklärung und Beratung von Drogenkonsumenten?

KRÜTT-HÜNING: Das weiß ich nicht. Das verteilt sich auf so viele: Krankenkassen, Reha-Träger, um nur zwei zu nennen. Allein die Arzneimittel: Bei Hepatitis kostet ein Medikament schon mal 50 000 Euro pro Quartal. In Köln teilen sich Gesundheitsamt, Amt für Soziales und Jugendamt die Kosten. Ich vermute, dass wir gesamtstädtisch bei etwa fünf Millionen liegen, inklusive der notwendigen Präventionsmaßnahmen.

Sie könnten eine Menge sparen, wenn Sie sagten: Wir kommen eh an viele Leute nicht heran, wir fahren unsere Hilfe einfach zurück.

KRÜTT-HÜNING: Stimmt, aber Sie haben einen Langzeiteffekt. Man könnte auch sagen: Wir geben alle illegalen Drogen unter ärztlicher Kontrolle frei, sie werden künftig wie apothekenpflichtige Arzneimittel ausgegeben, vomArzt verschrieben.

Ein Ansatz, der sehr umstritten ist.

KRÜTT-HÜNING: In Deutschland gibt es vielleicht 2,4 Millionen illegal Abhängige, aber zehnmal so viele Alkoholabhängige. Auch mit Blick auf die Langzeitfolgen sind Alkohol- oder Tabakkonsum für eine Gesellschaft viel teurer. Gäben Sie den illegalen Bereich ärztlich frei, würden Sie auch das ganze System austrocknen, mit Herstellern, Zwischenhändlern -die ganze Verdienstspanne. Sucht ist schließlich ein Supergeschäft.

Das Gespräch führten Brian Schneider und Tim Stinauer

Norbert Krütt-Hüning (55) ist seit 2012 Drogenkoordinator der Stadt Köln. Seine Stelle ist beim Gesundheitsamt angesiedelt, er kümmert sich ausschließlich um den Bereich der illegalen Substanzen. Zu seinen Aufgaben gehört neben der Gesundheitsfürsorge für die Konsumenten auch die Pflege und Weiterentwicklung des weit verzweigten Hilfesystems in der Stadt.

Kölner Stadt-Anzeiger

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