Drogenkurier Nr. 115

 

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  • Internationaler Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher

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Drogenkurier Nr. 115 (8 MB)

21. Juli 2018 in Köln

Große Veranstaltung in der Innenstadt auf dem Rudolfplatz

Wie schon im Vorjahr trommelte VISION e.V. in Köln verschiedene Vertreter des Kölner Drogenhilfesystems, der Selbsthilfe, der Stadt und der Aidshilfen zusammen, um gemeinsam den Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher*innen zu begehen. In regelmäßigen Planungstreffen mit allen Beteiligten formte sich die Idee, zum 20-jährigen Jubiläum des Gedenktags ein etwas größeres Event mit Bühnenprogramm auf dem Rudolfplatz zu veranstalten. Die Mahnwache am Neumarkt in der Innenstadt und die anschließende Gedenkfeier in Kalk, welche die letzten Jahre geprägt hatte, wurden so in einer Veranstaltung vereint.
Der Rudolfplatz wurde auch deshalb für den 21. Juli gewählt, da bereits die ersten Gedenktage in Köln dort stattfanden, womit wir geschichtlich anknüpfen und gewissermaßen den Kreis schließen konnten. An dem sonnigen und warmen Samstag erreichten wir in dem regen Treiben der Innenstadt direkt an den Kölner Ringen vor der tollen Kulisse des Hahnentores viele Menschen und trugen so sehr dazu bei, das Thema Drogengebrauch und den unnötigen Tod vieler Drogengebraucher*innen in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Durch die Verteilung von weißen Rosen und dazugehörigen Informationsblättern an Passanten wurde auf das Schicksal der im letzten Jahr Verstorbenen aufmerksam gemacht, die an den Folgen einer nach wie vor fehlgerichteten Drogenpolitik verstarben. Im Zentrum des Platzes wies eine aus Grabkerzen gebildete Zahl deutlich sichtbar auf die 52 im Jahr 2017 verstorbenen Kölner Menschen hin. Viele nahmen sich die Zeit und legten die Rosen auf das große hinter der Zahl mit kleinen Holzkreuzen und Blumen dekorierte Stoffkreuz – dazwischen immer wieder kleine Zettel mit der Anzahl der Verstorbenen in Köln, in NRW und bundesweit, welche gewiss einige erschreckten und dadurch ins Grübeln brachten. Sie hörten der Musik zu, schlenderten über den Platz oder kamen an den rund um den Platz verteilten Pavillons und Ständen der teilnehmenden Organisationen ins Gespräch und/oder informierten sich über die Hilfsangebote.
In einer Ecke des Platzes fand man einen symbolischen Sarg mit vielen Namen unserer Verstorbenen Freunde und Angehörige, der uns schon seit vielen Jahren zu den Gedenktagen begleitet. Ein Kondolenzbuch, in dem man seine Trauer über den Verlust einer oder eines Verstorbenen Ausdruck verleihen und Anteilnahme bekunden konnte, war ebenfalls vorhanden und wurde vielfach genutzt. Auch bestand wieder die Möglichkeit, Schiefertafeln zum Gedenken zu beschriften. Diese wurden nach der Veranstaltung an der zentralen Kölner Gedenkstätte auf dem Gelände von VISION e.V. in Kalk platziert. Eine Stellwand mit vielen Fotos der Gedenkstätte zeigte, wo die Schiefertafeln ihren Platz finden werden.
An das leibliche Wohl wurde auch gedacht. An einem Stand wurde Kuchen verschenkt – an einem anderen Stand wurde frisches Obst verteilt und wieder an anderer Stelle bekam man Gegrilltes und gekühlte Getränke. Und die vielen aufgestellten Biertische luden dazu ein, etwas länger zu verweilen und sich das Bühnenprogramm anzuschauen und zuzuhören.

Klaus der Geiger

Mit dem ersten musikalischen Akt meldete sich „Klaus der Geiger“ zu Wort. Der politisch engagierte Musiker und Liedermacher war bereits beim Gedenktag im Jahr 2004 (ebenfalls auf dem Rudolfplatz) mit dabei. Schon damals freuten wir uns sehr, einen der bekanntesten Straßenmusiker Deutschlands begrüßen zu können. Geige und Latzhose sind seine Markenzeichen. Seine Musik ist eine Mischung aus Jazz, Rock, Folk und Klassik. Mit großer Deutlichkeit in seinen oft ad hoc und zu aktuellen Anlässen produzierten Texten versucht er auch zu provozieren und war somit wie geschaffen für den Einstieg in diesen Protest-, Aktions- und Trauertag.

„Death Love and Acid“ (DLAA)

Weiter ging es mit der Wave-Band „Death Love and Acid“ (DLAA), welche bereits letztes Jahr auf der Gedenkfeier in Kalk die Besucher mit düsterer Romantik verzauberte. DLAA forderten mit getragenen sphärischen Klängen über rauen Punk und Rock mit einer Prise Pop zum Tanzen auf und bewegten sich zwischen Liebe, Hoffnung, Höhenflug, Absturz und Depressionen. Nicht nur durch die beiden sehr passenden Stücke „History of sorrow“ und „Heaven“ wurden melancholische Erinnerungen an die Verstorbenen hervorgerufen. Sie drückten die Schönheit des Momentes als auch die Tragik der Welt aus.

Jongleur Frank

In den Bühnenpausen zwischen der Band und den Liedermachern bot der Jongleur Frank seine Künste dar, fesselte unsere Blicke und lenkte die Zuschauer von den nötigen Umbauten auf der Bühne ab.

Rolly Brings

Der Auftritt des weit über die Stadtgrenzen bekannten Kölner Liedermachers Rolly Brings am Gedenktag war leider viel zu kurz. Auf Grund der aufgetretenen und bei solchen Veranstaltungen obligatorischen Zeitknappheit mussten wir ihn bitten, sein vorbereitetes Programm ein wenig zu kürzen. Die von ihm ausgewählten Songs griffen ganz gezielt das Thema des Tages auf. Auf lyrische und melodische Weise näherte er sich dem schwierigen Thema und ergänzte so unser Gedenktags Programm hervorragend.

Drugland Szene 1

Nach dem Musikprogramm wurden zwei Szenen aus dem Stück „Drugland“ aufgeführt, das ursprünglich ein Kulturprojekt und Teil des Sommerblutfestivals war.
Die erste Szene begann mit einer weibliche Stimme über die Lautsprecher. Wo kam sie her? Wer sprach da? Auf der Bühne war niemand. Fragende Blicke gingen über den Rudolfplatz, bis manche auf die vor der Bühne mit gesenktem Kopf sitzende Frau aufmerksam wurden. Ist sie es?

Die Stimme berichtete von Ihrer Multiple Sklerose Diagnose (MS) und ihre dadurch verursachten Probleme. Durch ihren Freund lernte sie Heroin kennen und stellte fest, dass es ihr dabei hilft, die Symptome der MS besser zu ertragen. Mittlerweile sitzt sie nicht mehr im Rollstuhl und sie meinte, sie könnte zwar keinen Marathon laufen, aber sie wäre zufrieden.

Plötzlich lief ein Geschäftsmann im schicken Anzug mit Rollkoffer quer über den Platz an ihr vorbei, blieb stehen, schaute sich um. Unter den Beobachtern der Szenerie machten noch mehr fragende Blicke die Runde. Als sich der Mann dann neben die Frau setzte konnte man die Verwunderung praktisch mit Händen greifen. Dann erklang Musik. Vielen wurde langsam klar, dass diese Szene vielleicht Teil des Programms ist und wohl noch etwas mehr dargeboten wird. Der elegante junge Geschäftsmann erhob sich und forderte die von ihrem Leben geprägte ältere Frau zum Tanzen auf. Es folgte eine bewegende Tanzszene, welche darin ihr Ende fand, dass die Beiden in ihre ursprünglichen Rollen zurückkehrten – der Geschäftsmann ging weiter seines Weges während sich die Frau erneut auf die Straße setzte.

Diese erste Szene aus dem Kulturprojekt „Drugland“ des Sommerblutfestivals hat uns und alle Gäste sehr berührt. Sie fesselte, lies einige Münder offen stehen und sorgte für eine ganz besondere Stimmung.

Drugland Szene 2

In der zweiten Szene erzählt Ozman, langjähriger Heroinkonsument, was für ihn Entzug bedeutet. Um dies zu verdeutlichen, bat er die Zuschauer für eine gewisse Zeit die Luft anzuhalten. Sie sollten sich vorstellen, dass sie sich in einer giftigen Atmosphäre befinden würden und wenn sie dem Verlangen durchzuatmen nachgeben würden, sie sterben müssten. Nicht jeder schaffte es, die etwa 1 ½ Minuten durchzuhalten. Der Überlebensinstinkt ist stärker. Ähnlich fühlt es sich für Ozman auf Entzug an. Anfänglich ist das Verlangen nach der Drogen noch zu ertragen und zu beherrschen – irgendwann zerreißt es dich förmlich. Der ständige Gedanke „Nur ein Schuss und alles ist wieder gut…“ ist bei allen Qualen und Schmerzen stets präsent.

Nach diesem Experiment mit den Zuschauern erzählte Ozman weiter von seinen Rückfällen und Therapien. Währenddessen begann der professionelle Tänzer die Torturen eines Entzugs auf sehr emotionale und plastische Art tänzerisch darzustellen.
Auch die zweite Szene aus dem Kulturprojekt „Drugland“ nahm die Zuschauer eindrücklich mit in eine Welt, die ihnen größtenteils bisher verborgen und fremd war.

Gedenkrede und Gedenkaktionen

Bei dem Gedenkpart hatten wir großes Glück, das der Bestatter und Pastor im Ehrenamt Andreas Hübner aus Odenthal kurzfristig für die ursprünglich geplante Pastorin und Gefängnisseelsorgerin der Kölner JVA Eva Schaaf eingesprungen ist. Dies wurde durch ein Missverständnis bei der Planung notwendig, wodurch Eva zeitgleich Gottesdienste in der JVA halten musste. Sie hat das Thema Gedenktag dennoch in ihre Predigten eingebaut, wodurch auch den inhaftierten Drogengebraucher*innen eine Gelegenheit geboten wurde, sich zu erinnern und zu trauern.
Andreas Hübner verstand es gut, das Thema des Tages zu erörtern und die Zuhörer in sehr angemessener Art und Weise anzusprechen. Er griff u.a. die Szenen aus dem Theaterstück auf: „Man sah das Kämpfen und das Leben. Man sah das Fallen und das Auffangen. Man sah das zum Himmel sich hochrecken. Am Ende ist es eine ganze Geschichte des Ringens um das Leben gewesen.“

In einer ergreifenden Zeremonie wurden im Anschluss an die Rede für die 52 verstorbenen Kölner Drogengebraucher*innen aus dem letzten Jahr von den Zuschauern jeweils eine Fackel entzündet. Als diese brannten und das Bild und die Atmosphäre vor der Bühne prägten, wurden schwarze Helium-Ballons verteilt und gemeinsam in den Kölner Himmel entlassen, wo sie mit unseren Gedanken und Wünschen auf die Reise gingen.

The Schabernacks

Nach den ruhigen Gedenkaktionen betraten „The Schabernacks“ die Bühne und es wurde wieder etwas lauter. Knackige Punk-Riffs trafen auf zackige Off-Beats. Sie vereinten die Musikstile Punk und Ska und brachten zum Abschluss des Tages energiegeladen „Gute-Laune“-Musik auf den Rudolfplatz. Sie schafften es das Publikum mitzureißen und in Teilen sogar zum Tanzen zu bewegen.

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