Junkies und Banker tanzen am Neumarkt

 

Junkie und Banker tanzen am Neumarkt

Das „Sommerblut“-Festival hat begonnen – In „Drugland“ spielen Drogensüchtige neben professionellen Darstellern mitten in der City

VON ULI KREIKEBAUM

Eine ausgemergelte Frau kauert auf der Zwischenebene der U-Bahn-Station am Neumarkt vor einer Wand. Ein Banker mit Laptoptasche bleibt stehen und beäugt sie stumm, bevor das Unglaubliche geschieht: Er setzt sich zu ihr. Sie berühren sich. Erst unsicher, irgendwann beginnen sie zu tanzen, er hebt sie hoch, dreht sie, sie lässt sich in seine Arme fallen, schließt die Augen, lehnt sich an seine Schulter. Sie sind sich nah. Nach ein paar Minuten verschwindet der Anzugträger im Dickicht der Großstadt. Die Frau lehnt wieder an der Wand, scheinbar wie immer, aber aus ihren tiefen Augenhöhlen scheint jetzt Licht, die Unterarmhärchen, die die vernarbte Haut nicht verdecken können, haben sich aufgestellt. Da sitzt ein anderer Mensch.

Wenn Dialog und Miteinander nicht funktionieren, hilft nur noch Poesie. Das Stück „Drugland“ von Regisseur Stefan Herrmann, das heute beim „Sommerblut“-Festivals gezeigt wird, will Empathie erzeugen, die es im Alltag am Neumarkt selten gibt. Anwohner und Geschäftsleute ärgern sich über Drogensüchtige, die Spritzen und Bierdosen liegen lassen und ihre Notdurft in Hauseingängen verrichten – bei Bürgerversammlungen zum Drogenkonsumraum brandete Wut auf. Auch gegen das Theaterstück gab es auf einer Informationsveranstaltung erstmal Vorbehalte – Geschäftsleute, die als Schauspieler auftreten wollten, fanden sich nicht, den Part übernehmen professionelle Darsteller.

Die Junkies sind es gewohnt, als Randgestalten betrachtet oder gar nicht beachtet zu werden – „man hat eigentlich keinen Kontakt zu Geschäftsleuten oder anderen Teilen der Gesellschaft“, sagt Renate. Bei ihr sei das ein kleines bisschen anders, Zorro, ihrem Hund, sei Dank. „Durch Zorro komme ich mit einigen ins Gespräch.“

Es sei nur ein kleiner Prozentsatz der Junkies, der sich asozial verhält, „das wird oft übersehen“, sagt Renate. Sie spielt in dem Stück die tanzende Drogensüchtige – sich selbst. Renate bewegt sich trippelnd, zitternd. Sie weiß seit 30 Jahren, dass sie Multiple Sklerose hat – dem Theaterpublikum beim Sommerblutfestival wird sie davon eingangs des Stücks erzählen. Seit 30 Jahren ist Renate auch heroinsüchtig. Ihr Mann habe sie rausgeschmissen, sagt sie, in der Folge sei sie zu einem drogensüchtigen Freund geflüchtet, der sich täglich mehrmals einen Druck gesetzt habe. Seitdem pendelt sie zwischen Heroin und Methadon, inzwischen nehme sie nur noch Subutex, das weniger stark wirke als Methadon; in einem Jahr will ich ganz davon los sein“.

Osman hat Heroin nie gespritzt, wohl aber geraucht. Seit mehr als 20 Jahren ist der 39-Jährige abhängig, seit 20 Jahren frage ihn die Familie: „Warum hörst Du nicht einfach auf?“ In „Drugland“ steht Osman im Innenhof des Gesundheitsamts und erzählt, wie es ist, auf Entzug zu sein. Er bittet die Zuschauer, die Luft anzuhalten, während er erzählt – um nachempfinden zu können, wie es einen dann zerreißt. Hayato Yamaguchi, der zuvor mit Renate getanzt hat, macht unterdessen Handstand auf einem Stuhl. Der Tänzer bricht zusammen, als Osman noch erzählt von Kaltschweiß und Tränen.

Zwölf Drogensüchtige spielen in „Drugland“ mit vier ausgebildeten Schauspielern, einem Tänzer und einer Straßenmusikerin. „Mit dem Stück soll der Ursprung der Konflikte ergründet und eine Utopie für ein gelungenes Miteinander entwickelt werden“, sagt Regisseur Herrmann. Die Zuschauer werden in das Stück mit eingebunden und sollen sich zum Konflikt am Neumarkt äußern. Wie reagiere ich als Anwohner auf einen Junkie, der vor der sich vor der Haustür einen Schuss setzt? Wie verhalte ich mich, wenn ich beim Joint rauchen von Mitgliedern einer Bürgerinitiative fotografiert und beschimpft werde? Das Theaterstück, das auch in anderen Städten aufgeführt werden soll, ist auch ein gesellschaftliches Experiment.

Veranstaltungen des „Sommerbluf-Festivals

Das 17. „Sommerbluf‘-Kulturfestival umfasst 32 Tanz- und Theateraufführungen, Ausstellungen und Konzerte. Mehr als 225 Künstler stellen dabei bis zum 21. Mai den Körper in den Mittelpunkt des Programms.

„Drugland“ ist am heutigen Mittwoch, 9. Mai, ab 19 Uhr zu sehen, Treffpunkt ist am Gesundheitsamt am Neumarkt der Eintritt kostet 15 Euro.

Im Ensemble Mambo-Moves treffen Menschen zwischen 20 und 90 aufeinander, mit und ohne Behinderung. Zu sehen ist ihr Tanz am Freitag, 11. Mai, 19 Uhr, im Kölner Künstler-Theater, Grüner Weg 5. Eintritt: zwölf Euro.

In „Antikörper“ begeben sich Inhaftierte der JVA auf die Suche nach Sehnsüchten, Erinnerungen, Zweifeln, Hoffnung. Zu sehen am 15. Mai, 16. Mai und 17. Mai, jeweils 18 Uhr, JVA Köln, Rochusstraße 350. Eintritt: 15 Euro.

Beim Kulturfinale des Festivals spielen Stephan Brings, die Band Buntes Herz, der Sänger Tome Tivane und die Band Tsaziken in Odonien, 21. Mai, 16 Uhr. Zuvor läuft eine „Mad Pride“-Parade ab 14 Uhr von der Stammstraße bis zur Hornstraße. (ksta)

Kölner Stadt-Anzeiger

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Eine Antwort

  1. Marco Jesse sagt:

    Ein großes Kompliment an die Organisatoren des Sommerblutfestivals und besonders an Regisseur Stefan Hermann und sein Ensemble aus professionellen Schauspielern, Tänzern und Laiendartellern aus der Kölner Drogenszene!

    Ihnen ist es gelungen ein Thema, das in aller Regel verzerrt dargestellt wird, in einer Eindrücklichkeit und Emotionalität darzustellen, die beeindruckend ist. Drugland gewährt Einblick in die Seelen und Lebensrealitäten Drogen gebrauchender Menschen und offenbart einen Konflikt zwischen Gesellschaft und der Drogenscene der (bei allem Verständnis für die Perspektive der Anwohnerschaft) in einer teils menschenunwürdigen Art und Weise geführt wird. Die Lebenswege und das Leid des einzelnen Menschen gerät dabei in der Realität leider vielfach aus dem Blick.

    Dies zeigte sich leider auch am Premierenabend als zwei Vertreter der Bügerinitiative Neumarkt eine der Darstellerinnen nicht nur widerrechtlich filmten, sondern sie auch in einer Art und Weise beschimpft haben die man nur als Niveaulos und menschenverachtend beschreiben kann.

    Ich muß gestehen das mir in solchen Momenten der Wunsch in den Kopf kommt das solche Personen nur einen Teil der Schicksalsschläge erleiden sollten die sich teils in den Biografien der Darsteller*innen finden.

    Die grade aus dieser Richtung vielbeklagte Verrohung war hier genau auf der gegenüberliegenden Seite zu erleben.
    Dessen ungeachtet ist mit Drugland ein beeindruckendes Stück gelungen, das höchste Anerkennung verdient!

    Wer es nicht im Rahmen des Sommerblutfestivals sehen konnte dem würde ich einen Besuch der Aufführungen am 22.+23. Mai in Dortmund oder am 27. Mai in Bonn ans Herz legen.

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